Den ganzen Juni über – im Pride Month – strahlen die Social Media-Plattformen vor lauter Regenbogenflaggen. Jeder Konzern, der was auf sich hält, hüllt sein Logo exakt einen Monat lang in bunte Regenbogenfarben. In der heutigen Zeit ist es für Firmen finanziell eher lohnenswert, sich als LGBT*-freundlich darzustellen. Sich küssende lesbische Pärchen oder Drag Queens in Werbespots verkaufen sich gut und malen ein Bild von der bunten, hippen, vielfältigen neuen Welt. Das überrascht nicht: Im Kapitalismus ist und bleibt die größte Motivation der Profit, und aktuell sind Nachhaltigkeit, „Diversity“ und Feminismus voll im Trend.
Das ist keine Solidarität, und auch kein Aktivismus für eine befreite Gesellschaft – Dahinter steckt nicht mehr als eine kalkulierte Werbestrategie. Eine tatsächliche Darstellung von queeren Menschen und Erfahrungen in den Medien gilt immer noch als „kontrovers„. Man hat Angst, die homo- und transfeindliche Mehrheitsgesellschaft zu verärgern und schließlich an Einnahmen einzubußen.
Einerseits will man unser Geld – andererseits sieht man uns und unsere Lebensrealitäten nach wie vor als weniger wert an.
Ein bekanntes Beispiel dafür ist Disney: Das Medienimperium druckt massenweise Merch mit Regenbogenmotiven, der dann verkauft wird, um der großen queeren Fangemeinde Geld aus den Taschen zu locken – dabei weigert sich der Konzern seit Jahrzehnten strikt dagegen, queere Figuren in Filmen oder Serien darzustellen.
Wenn sie wirklich auf unserer Seite sind, und sie wirklich für die befreite Gesellschaft stehen, warum ist es Konzernen dann trotzdem so wichtig, queerfeindliche Arschlöcher als Publikum zu behalten?
Und diese Lebensrealiten sind viel zu oft unbequem. Queere und trans* Menschen sind überdurchschnittlich oft von Armut betroffen, haben niedrigere Gehälter, bekommen durch Diskriminierung seltener Woungen und Arbeitsstellen(1), und müssen obendrein noch emotionale Arbeit leisten, die gar nicht als solche anerkannt wird (z.B. indem wir im Kundendienst angepöbelt werden, oder wir cis-hetero Menschen erklären müssen, wie sich unsere eigene Diskriminierung anfühlt).
Woke“ sein, weltoffen und tolerant, bunt und vielfältig, das ist zur Marketingstrategie geworden. Wir sehen darin nichts weiter als eine Aneignung von sozialen Bewegungen durch Konzerne.
Aus uns und unseren Befreiungskämpfen soll Geld gemacht werden – dabei ist es genau dieses kapitalistische System, das uns unterdrückt. Im Kapitalismus steckt keine Freiheit – der Kapitalismus steht unserer Befreiung entgegen. Dagegen wehren wir uns!
Wenn wir in Deutschland über staatliche Unterdrückung von LGBT*-Menschen sprechen, geht es oft um den Irak, Uganda oder Saudi-Arabien. Dabei vergessen wir oft, wie es hierzulande vor gar nicht langer Zeit aussah.
122 Jahre lang war Homosexualität(2) in Deutschland illegal (§175) und wurde unter den Nazis mit bis zu zehn Jahren Zuchthaus bestraft – unter den Nazis wurden Homosexuelle(2) verfolgt und vergast. Erst 1994 wurde der §175 entgültig abgeschafft. Die exekutive Kraft, die diese zutiefst queerfeindlichen Gesetze durchsetzte, das war die Polizei.
Die LGBT*-Bewegung fand ihren Ursprung in den Stonewall Riots – einer Reihe militanter Aufstände von queeren und trans* Menschen, vielen davon People of Color, gegen die Polizei. Damals war es gang und gebe, dass die Cops in queeren Clubs und Bars Razzien durchführten. Sie durchsuchten Menschen, misgenderten sie, demütigten sie, zwangen sie, sich auszuziehen, machten Passkontrollen, nur um ihnen schließlich wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ Bußgelder aufzudrücken, sie öffentlich in Zeitungen gegen ihren Willen zu outen (damals ein soziales Todesurteil in der stockkonservativen Mehrheitsgesellschaft der 50er und 60er Jahre) oder sie sogar zu verhaften.
Wenn die Gesetzeslage sich ändert und Queer sein (wieder!) kriminalisiert wird, ist die Polizei die Institution, die diese Gesetze mit Gewalt durchsetzt.
Die Aufgabe der Polizei ist es, Gesetze durchzusetzen und Befehle auszuführen. Das heißt: In einem queerfeindlichen Staat ist auch die Polizei zwangsläufig queerfeindlich.
Das lässt sich leicht sagen. Schwarze Menschen und People of Color, Migras, Geflüchtete, Menschen ohne Papiere, Obdachlose, androgyne Menschen und trans* Menschen, die nicht als ihr Geschlecht wahrgenommen werden, oder einfach keinen Geschlechternormen entsprechen, können dem leider nicht zustimmen. Für sie können Begegnungen mit der Polizei eine massive Bedrohung für Leib und Leben sein.
Es ist Alltag für die Polizei, körperlichen Zwang einzusetzen. Sie sind ausgestattet mit Schlagstöcken, Tränengas, Tasern oder Schusswaffen, in Bayern nun sogar mit Handgranaten. Die Militarisierung der Polizei nimmt stetig weiter zu, dabei sind rassistische und faschistische Strukturen z.B. in Polizei, Verfassungsschutz und Bundeswehr längst bekannt.
Es ist die Polizei, die Geflüchtete in Abschiebeknäste einsperrt, und sie gewaltsam in Kriegsgebiete abschiebt. Rassistische Polizeikontrollen sind an der Tagesordnung. Und auch die Deutsche Polizei mordet immer wieder aus rassistischen Motiven.
Queere Menschen, die obendrein noch eine Migrationsgeschichte haben oder denen eine „Rasse“ zugeschrieben wird, sind von Diskriminierung gleich mehrfach betroffen.
Das allein ist Grund genug, den Cops die Chance auf eine Glorifizierung und Selbstdarstellung der auf dem CSD zu nehmen.
Auch bei queerfeindlicher Gewalt drückt der Staat gern ein Auge zu – Diskriminierung wird nicht als solche anerkannt, heruntergespielt, und die Ermittlungen schließlich fallengelassen. Viele Überlebende homophober Gewalt stellen deswegen erst gar keine Anzeige.(3) Daran ändert auch eine Meldestelle für homophobe Gewalt auf der Polizeiwache nichts.
Trans* Menschen mit falschem Geschlechtseintrag im Pass werden konsequent misgendert und nicht ernst genommen, selbstorganisierte Hormonbehandlungen kriminalisiert.
Menschen mit „divers“-Eintrag im Ausweis werden im Kontakt mit Polizei und Justiz als Menschen zweiter Klasse behandelt – Sonderlinge, die in keine Kategorie gesteckt werden können, und dadurch Probleme machen.
Nichtbinäre Geschlechter werden ohne eine ärztlich bewiesene Intergeschlechtlichkeit staatlich überhaupt nicht anerkannt – wenn du also als weder männlich noch weiblich kategorisiert werden willst, dann musst du dich pathologisieren lassen. Auch für angebliche „alternativen Lebensformen“ – z.B. Co-Parenting, Leihelternschaft, polyamore Beziehungen, eine selbstbestimmte Transition oder schlicht das Recht auf freie und niedrigschwellige Schwangerschaftsabbrüche – ist vom Staat keinerlei Unterstützung zu erwarten.
Der Staat als autoritäres Herrschaftskonstrukt und der Kapitalismus als Wirtschaftsweise ist darauf ausgelegt, menschliches Verhalten in sozial und asozial, produktiv und unproduktiv, normal und abnormal einzuteilen, und uns demnach zu belohnen oder zu bestrafen. Anstatt dass uns der Raum gelassen wird, uns frei und selbstbestimmt zu den vielfältigen Menschen zu entwickeln, die wir sind.
Wir lehnen die lächerlichen Versuche der Selbstdarstellung von Kapitalkonzernen und staatlichen Institutionen auf Pride-Veranstaltungen strikt ab.
Im Staat und im Kapitalismus ist keine queere Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmtheit möglich.
Schluss mit dem Sich-Einfügen in die Cishetero-Norm – Queere Befreiung funktioniert nur jenseits von Staat und Kapital!
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(1) bpb: „Die Rechtsstellung von Trans*personen in Deutschland.“
(2) Gemeint waren vor allem sexuelle Handlungen zwischen Männern. Lesben wurden und werden historisch leider immer wieder ausgeblendet und unsichtbar gemacht. Häufig fielen auch trans Frauen unter das Label „Homosexualität“, da das Brechen mit traditionellen Geschlechternormen als „homosexuelles Verhalten“ galt, und trans Frauen als „Männer, die sich wie Frauen benehmen“ gesehen wurden.
(3) taz, „Getrübter Blick der Staatsmacht: Homophobie gibt’s nicht.“
Für die besonders belesenen Hobby-Politikwissenschaftler*innen unter euch: Innerhalb unserer Gruppe haben verschiedene Menschen verschiedene Definitionen vom Begriff „Staat“. Wir verstehen uns als weder rein kommunistische noch rein anarchistisch. Uns auf das eine oder das andere festzulegen, würde vermutlich auch nur zu Streitereien führen, die der tatsächlichen politischen Arbeit in den Weg kämen…