Dies ist unser Redebeitrag bei der Demo unter dem Aufruf „Gemeinsam und entschlossen weiterkämpfen gegen Rechtsruck und Krise!“ am Tag der Bundestagswahl, 23.02.25:
Moin!
Mal wieder war eine Bundestagswahl, und mal wieder stehen wir als linke Bewegung hier, um unseren Protest deutlich zu machen – doch
was soll diese Tradition eigentlich?
Wir sind hier, weil wir schon damit rechnen konnten, dass das Wahlergebnis so aussieht, wie es jetzt aussieht. Das Ergebnis zeigt uns rechnerisch eine schwarz-blaue Mehrheit – von der niemand mehr so wirklich sicher sein kann, ob sie langfristig gesehen nicht doch noch in eine Koalition transformiert werden wird.
Aber nehmen wir erstmal an, Merz hält sein wertloses Wort diesbezüglich. Welche Optionen gibt es und was ist wahrscheinlich? Vielleicht wird es wieder ’ne GroKo. Wobei das „Groß“ darin sich ein bisschen wie ein Relikt alter Zeiten anfühlt, in denen stets klar war, dass eine Regierung immer aus einer der „großen Volksparteien“ CDU oder SPD plus irgendwas „Kleinem“ bestehen wird. Doch was ist eigentlich los mit dem Konzept der „Volkspartei“? Das Wort klingt nach einer Partei, die gewissermaßen für das gemeine Volk stehen würde – eine Partei, welche von genug Menschen verlässlich gewählt wird, um eine Konstante in der politischen Landschaft zu bilden. Vor der Ampel, waren zwischendurch plötzlich die Grünen auch schon fast zu diesem Status erhoben worden – doch nun kann davon wieder kaum die Rede sein, genauso wie bei der SPD.
Dafür ist es jetzt die AfD, welche diesen Status versucht zu beanspruchen. Eine rechtsextreme Partei, als zweitstärkste Kraft im Bundestag, demokratisch gewählt?
Schauen wir uns doch einmal an, wie sich diese Wahl zusammensetzt. Ist es wirklich so demokratisch, wenn sie 20,8 Prozent der abgegebenen Stimmen haben, welche von 82,5 Prozent der Wahlberechtigten stammen, die gewählt haben – und nur 3/4 der Bevölkerung ist überhaupt wahlberechtigt. Kann das überhaupt der so oft hochgehaltene „Wille des Volkes“ sein? Doch allgemeine Kritik am vielleicht doch nicht ganz so repräsentativen parlamentarischen System und dessen und dessen Machtverteilung beiseite – lasst uns für einen Moment den Begriff „demokratische Partei“ so denken, wie er in der allgemeinen Debatte genutzt wird – für eben alles, außer der AfD. Eine Koalition, angeführt von der CDU mit Merz – aka Mr. Burns.- Eine Partei, welche 51 Jahre lang und somit einen großen Teil der Geschichte der BRD die Regierung lenken konnte, und direkt vor der Ampel 16 Jahre lang geschaltet und gewaltet hat. Es ist genau diese CDU, welche allen Ernstes im Wahlkampf damit geworben hat, einen Politikwechsel vollziehen zu wollen – wie dreist kann man eigentlich sein, Wähler*innen weiszumachen, dass all unsere Probleme in der Infrastruktur, in der Bildung, Steigerung von Armut, Fachkräftemangel, „Integration“ und so weiter alle allein der Ampelregierung mit nicht mal 4 Jahren Regierungszeit anzulasten sind?
Der angekündigte Politikwechsel, was verspricht er? Fortschritt durch Rückschritt, wofür Konservatismus bekannt ist. Doch Rückschritt wie weit? 1933? Die Menschen haben Angst – Klimakrise, Krieg, Inflation, Terror, wachsende Armut – diese Themen beschäftigen die Bevölkerung zunehmend.
Und nun kommt so eine rechte Partei – ob CDU oder ihr Vorbild, die AfD – und verspricht und propagiert angeblich klare Lösungen. Deutschland müsse erst einmal aufhören mit diesem ganzen „woken“ und „grünen“ Unsinn, um von einem sicheren und stabilen Punkt aus wieder richtig durchstarten zu können. Schluss mit selbstauferlegten Klimaregeln – stattdessen die Wirtschaft ankurbeln! Migration begrenzen oder am liebsten gleich beenden! Schluss mit Sozialleistungen, Kulturförderungen, Frauenrechten, Selbstbestimmungsgesetz, Gendergerechter Sprache – dann sollte es uns allen bald schon wieder spitze gehen.
Naja, oder zumindest, den reichsten paar Prozent. Denn mit „uns allen“ sind natürlich eben nicht alle in der BRD lebenden Menschen gemeint, sondern alle gesunden, weißen, deutschen, wohlhabenden, hetero cis Männer. Jetzt mal im Ernst: Das ist eben die einzige Bevölkerungsgruppe, welche diese Parteien willentlich und wissentlich ansprechen. Alle Wahlkampfstrategien, welche nach etwas anderem aussehen, sind nur dazu da, um Bevölkerungsnähe vorzuspielen, um sich freundlich und wählbar zu zeigen. Doch schauen wir auf den Inhalt, wird eben klar, für wen diese Parteien stehen.
Und nicht nur die CDU oder die AfD sind das Problem – auch die vermeintlich links von denen stehende SPD oder die Grünen schaffen es kaum, über ein paar Symbolpolitiken hinaus eine progressive Haltung zu wahren. Für sie war es zwar ein klarer Skandal, als CDU und AfD gemeinsam abgestimmt haben – aber ihre eigene Politik beinhaltet fast in gleichem Maße eine Verschärfung der eh schon rassistischen Asylpolitik, nur oft schicker formuliert, rot oder eben grün angestrichen. Doch der Inhalt bleibt. Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten – selten war dieser Spruch in
den letzten Jahren wieder so aktuell, wie zurzeit. Statt Fortschrittskoalition haben wir „endlich im großen Stil abschieben“ bekommen.
Das alles sind also die sogenannten „Volksparteien“ – aber für was für ein Volk soll das denn die Politik sein? Abgesehen davon, dass innerhalb des Kapitalismus eine Befreiung der Menschen sowieso nicht funktionieren kann – eine schwarz-blaue Mehrheit im Bundestag macht eine Verbesserung der Verhältnisse innerhalb dieses Systems nicht wahrscheinlicher. Deutschland besteht aus mehr als diesen paar Prozent, mehr als aus weißen, cis männlichen Kapitalist*innen. Frauen, queere Menschen, People of Colour, Migrant*innen, Arbeiter*innen – sie sind es, welche den Laden am Laufen halten, ohne je Respekt oder anständige Entlohnung zu erhalten. Nicht zu vergessen, all die Menschen mit Behinderungen oder welche durch die Gesellschaft behindert werden, Menschen mit Krankheiten, und neurodivergente Personen, welche immer nicht mitgedacht werden und auch in unseren linken Kreisen oft selbst ihre einzigen Fürsprecher*innen sind. Wir brauchen keinen Rückschritt, keinen Rassismus, keine Beförderung
der Reichen und Unterdrückung der Armen.
Was wir brauchen, ist etwas ganz anderes. Und ja, dazu gehört auch eine starke linke Opposition, oder am liebsten Regierung, im Bundestag – doch das allein reicht nicht. Was wir wirklich brauchen, sind Strukturen abseits dieser fragilen parlamentarischen Landschaft – Strukturen, die uns helfen und uns stärken, die uns Solidarität ermöglichen, ganz unabhängig davon, wer sich momentan „Vertreter*innen des Volkes“ schimpft. Was wir brauchen, ist ein Klassenkampf von unten – mit allem was dieser beinhaltet. Klassenkampf bedeutet, sich anzufangen, für seine Nachbar*innen zu
interessieren, sich gegenseitig zu empowern und zusammenzustehen. Klassenkampf bedeutet, sich nicht in inhaltlichen Detaildiskussionen zu
verlieren, sondern gemeinsam nach vorne zu schauen und gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, ob entlohnt oder zu Hause, anzugehen, und genau so gegen Diskriminierung und Unterdrückung abseits der Arbeit zu kämpfen. Nach unten zu treten, und sich von Rechten gegeneinander ausspielen zu lassen, kann nicht die Lösung für unsere Probleme sein. Wie oft sprachen Menschen in den letzten Wochen davon, dass Terror
und Islamismus hier ein Problem seien, ohne je ein Wort über die Betroffenen dieser Angriffe zu verlieren. Zumindest nicht, ohne sie zu
instrumentalisieren. Alle wollen, dass Frauen und Kinder geschützt werden – doch arbeiten an einer Politik, welche diese verarmen lässt, welche ihnen Freiheiten nimmt. Eine Politik, welche migrantische Menschen bedroht und Narrative schafft, welche Betroffene zu Täter*innen umdeuten.
Und was ist denn eigentlich mit den ganzen Feminiziden der letzten Zeit? Wo ist der Aufschrei, wenn weiße, deutsche hetero cis Männer ihre
Partnerinnen aufgrund ihres deutschen sexistischen Weltbildes umbringen? Wo ist die finanzielle Stärkung von Frauenhäusern, ernstgemeinte Schutzkonzepte, Bildung über patriarchale Strukturen und wie wir diese überwinden können, angefangen am besten in der Kita – deren Fachkräfte übrigens deutlich mehr Gehalt und vor allem bessere Betreuungsschlüssel und Arbeitsbedingungen brauchen.
Bei vielen von uns löst dieses Wahlergebnis nicht nur Wut aus, sondern auch Angst. Als trans* Personen schauen wir momentan viel auf die USA, in denen unsere Geschwister gerade systematisch entbürgert, entrechtet und schlichtweg entmenschlicht werden. Und wir fragen uns, ob es nur eine
Frage der Zeit ist, bis diese Verhältnisse auch hierher überschwappen. Nicht unbegründet – die CDU wirbt damit, das Selbstbestimmungsgesetz
wieder abschaffen zu wollen, und wenn es nur nach ihnen ginge, wahrscheinlich alles, was trans Personen die Existenz in dieser Gesellschaft erleichtert. Wo ist der Schutz der Kinder und Jugendlichen dann, wenn fast drei Viertel der trans Jugendlichen und jungen Erwachsenen über Suizid nachdenken, wenn ein Drittel von ihnen bereits mindestens einmal versuchte, sich das Leben zu nehmen? Nur um, wenn sie überleben, in
ein zutiefst transfeindliches und sexistisches medizinisches und psychiatrisches System zu kommen, in dem es einem Glückspiel gleicht, an Therapeut*innen zu gelangen, welche uns zuhören und nicht versuchen unsere Erfahrungen zu relativieren. Wir haben diese Politik so satt – wir sind wütend, wir sind verzweifelt, vielen von uns fehlen die Kapazitäten, wir sind oft wie erstarrt.
Und dennoch stehen wir heute hier. Unsere Hoffnung liegt nicht allein in der parlamentarischen Politik. Unsere Hoffnung liegt darin, dass wir uns organisieren, dass wir zusammen auf die Straße gehen, zusammen unseren Alltag bewältigen, uns gegenseitig zuhören und helfen und dass wir uns wehren gegen diese Politik – und zwar feministisch, antifaschistisch und solidarisch!
Wir sagen, weg mit der Lüge der Brandmauer – für einen echten Antifaschismus, der alle meint!
Siamo tutti antifascisti!
Danke.