Überblick
In diesem Beitrag findet ihr unsere beiden Redebeiträge zur Kundgebung gegen den Auftritt von Luke Mockridge am 7.6. in Kiel. Außerdem haben wir ein paar Ressourcen zum Thema transformative Gerechtigkeit gesammelt, die am Ende des Beitrags zu finden sind.
Redebeitrag zu Luke Mockridge
Kennt ihr noch Luke Mockridge? Ja? Wie kann das denn sein? Er wurde doch schließlich gecancelt. Ach ja, aber gecancelte Personen verschwinden ja gar nicht aus der Öffentlichkeit. Oder eben höchstens mal kurz. Luke Mockridge jedenfalls hat sich nun nach kurzer Auszeit mit einer neuen Tour zurück getraut und sein Comeback gleich noch mal mit einem Titel-Interview im Stern gefestigt.
Aber was ist denn mit Luke Mockridge überhaupt?
Der Comedian ist seit 2012 auf deutschen Bühnen unterwegs und füllt auf seinen Touren ein Stadion nach dem anderen. Auf seiner Website wird damit auch kräftig angegeben: ganze fünf mal wird in dem Text „Über Luke“ darüber berichtet, wie viele Tickets er auf den unterschiedlichen Touren verkauft hat. Ansonsten ist der Text erstaunlich informationslos und verschwendet nur ein paar Halbsätze um wirklich etwas „über Luke“ zu erzählen. Dabei liest er sich gewissermaßen auch wie die Konzerngeschichte so mancher deutscher Traditionsunternehmen: „Es ging so und so los, dazwischen war eigentlich nichts erwähnenswertes, und heute geht es so und so weiter“. Natürlich soll das jetzt kein Nazi-Vergleich werden, aber mit einer ähnlichen Strategie des Schweigens werden die Lücken in Lukes erfolgreichem Lebenslauf, die öffentlichen Vorwürfe der Vergewaltigung, Körperverletzung, und des sexuellen Übergriffs und der zwischenzeitige Rückzug aus der Öffentlichkeit natürlich geschickt überbügelt.
Jetzt ist er zumindest wieder da: Seit 2023 läuft seine neue Tour „Trippy“, mit der er heute auch in Kiel auftritt. Der Pressetext dazu wurde nicht im luftleeren Raum verfasst: Die Tour wird bezeichnet als „ein Comeback trotz Cancel-Culture. So nahbar, dass sich jeder wiederfindet, so künstlerisch, dass sich Aktivisten daran festkleben werden.“ Aha. See what you did there. Mit so einem Seitenhieb möchten Luke und sein Team natürlich gleich von vornherein jede Kritik vorausnehmen und delegitimieren. Das ist aber nicht nur eine schlechte kulturelle Referenz, wie an anderen Stellen in diesem Pressetext klar wird: „Luke Mockridge hat schon länger den Eindruck, wir leben in einem Film, der krasser ist als jeder Film, den wir je geguckt haben.“ Oder: „Ist die Welt wirklich so schlecht, wie sie uns immer verkauft wird? Blaue oder rote Pille?“. Solche verschwörungstheoretisch anmutenden Gedankengänge erinnern doch stark an Konsorten wie den Frauenhändler und Internet-Hassprediger Andrew Tate, der bei seiner Verhaftung auf Twitter behauptete, die „Agenten“ hätten ihn geholt.
Zwar ist Luke Mockridge kein Menschenhändler, aber Matrix-Vergleiche rauszuholen, um sich damit vom Beschuldigten in die Rolle des Auserwählten zu erheben? Einsicht sieht anders aus. „Jetzt erst recht“ will er stattdessen „über alles, jeden, laut und jederzeit“ lachen. Denn dieses Privileg darf sich ein weißer wohlhabender Cis-Mann ja wohl nicht nehmen lassen. Dazu gehören eben dann auch mal Witze über übergriffiges Verhalten oder auch KO-Tropfen. Ha Ha. Aber noch einmal zum Thema Beschuldigter: Was war denn nun eigentlich passiert?
Im Jahre 2019 kamen erstmals Vorwürfe ans Licht, die seine Ex-Partnerin Ines Anioli, ebenfalls Comedian, gegen ihn vorlegte und ihn entsprechend anzeigte. Die Rede war von versuchter Vergewaltigung und Körperverletzung. Die Staatsanwaltschaft stellte wegen mangelnder Beweislage ein Jahr später das Verfahren ein. Dabei wurde Anioli außerdem ein „Suggestionspotenzial“ unterstellt: Womöglich sei sie von anderen Frauen beeinflusst worden in ihrer „Interpretation“ der Situation. Eine ungeheuerliche Behauptung, zumal es bei wahrscheinlich traumatisierenden Erfahrungen doch bekannt ist, dass oft erst im Austausch mit anderen überhaupt der Umfang und die Bedeutung der Ereignisse realisiert werden können.
Doch damit nicht genug: Nachdem 2021 der Spiegel in einem Artikel Vorwürfe übergriffigen Verhaltens durch Luke, vorgebracht von 10 weiteren Frauen, veröffentlichte, schlug dieser erst richtig zurück: Lukes Anwälte zwangen das Magazin, zentrale Textpassagen wieder zu entfernen, und dazu noch wurde nun Ines Anioli wegen falscher Verdächtigung von ihm verklagt. Auf Instagram sagte er damals, es sei eben eine toxische Beziehung gewesen, und entschuldigte sich natürlich nicht.
Diese Strategie ist in ähnlichen Fällen immer wieder zu beobachten: Keine Entschuldigung, kein Schuldbewusstsein, Gegenvorwürfe. Während reiche Männer wie Luke Mockridge immer wieder ihre Anwälte auf Betroffene und Medien hetzen, stellen sie sich selbst gleichzeitig als Opfer dar, die der gefräßigen Cancel Culture vorgeworfen wurden. Doch was genau soll denn diese Cancel Culture überhaupt sein? So gut wie nie sind angeblich gecancelte Personen, häufig eben solche reichen Männer, tatsächlich deswegen von der Bildfläche verschwunden: Wir sehen immer noch ausverkaufte Stadien für Rammstein, wir sehen einen neuen Plattenvertrag für Marilyn Manson, wir sehen Chris Brown, Johnny Depp, wen nicht sonst noch alles, fröhlich in der Öffentlichkeit weiter Unmengen an Geld verdienen. Auch lange vor dem Begriff „Cancel Culture“ war es schon immer Gang und Gebe in unserer Kultur, dass Stars mit so ziemlich allem durchkommen. Nur weil heutzutage ein etwas größerer Teil der Öffentlichkeit ein Problembewusstsein hat, sind diese Personen noch lange nicht ernsthaft in Gefahr.
Luke sieht das offenbar anders: In dem kürzlich erschienenen Titel-Interview im Stern – wie genau kommt eine gecancelte Person noch mal auf die Stern-Titelseite? – schildert er, wie sehr er doch gelitten habe und eigentlich das Opfer der Medien, Frauen und so weiter sei. Dabei bezeichnet er die medialen Reaktionen auf die Vorwürfe gegen ihn allen ernstes als „Säureangriff auf sein Image“. Säureangriff?! Ein Verbrechen, das insbesondere von Männern gegenüber unliebsam gewordenen (Ex-)Partnerinnen immer wieder begangen wird und deren Leben für immer zerstören kann! So geschmacklos muss man erst einmal sein. Aber für die Öffentlichkeit scheint es ja trotzdem zu reichen: Landesweit haben Veranstaltungsorte wie die Wunderino-Arena inzwischen keinerlei Bedenken mehr, den frauenfeindlichen Comedian auftreten zu lassen und heißen ihn bei seinem Comeback herzlich willkommen.
Dazu sagen wir: Runter von der Bühne Luke! Keine Täter-Opfer-Umkehr! Keine Show für Luke Mockridge in Kiel und anderswo!
Redebeitrag zu Transformativer Gerechtigkeit
Wie wir gerade eben im Beitrag schon gehört haben, zeigt der Fall von Luke Mockridge mal wieder, dass Staat und Strafsystem uns nicht vor Gewalt schützen und keine Gerechtigkeit zu bieten haben. Das Gegenteil ist der Fall, denn dieser Staat und seine Gesellschaft sind von Grund auf patriarchal und das Konzept Strafe funktioniert schlichtweg nicht.
Wenn wir laut und aktiv werden, können reiche Männer wie Luke teure Anwaltskanzleien beauftragen, uns mundtot zu machen. Dazu kommen noch all die Gewalt, Hetzkampagnen, Doxxing und Bedrohungen durch Lukeversteherinnen und Täterschützer. So erging es etwa Jorinde Wiese, eine Person die online wie offline sich gegen sexualisierte Gewalt einsetzt und den Hashtag KonsequenzenFürLuke gestartet hat. Jorinde hat weiterhin die psychischen Folgen zu tragen. Umso wichtiger, dass wir an dem Thema dran bleiben, damit Einzelne nicht länger ausbrennen!
Ich möchte heute aber nicht nur über Einzelpersonen wie Luke oder Till oder Jerome reden, diese Liste ließe sich beliebig erweitern, schließlich wird regelmäßig über die Gewalt durch die Reichen und Berühmten berichtet. All diese Fälle bringen das Thema in die Öffentlichkeit, sorgen für Schlagzeilen. Weniger Aufmerksamkeit bekommt die Tatsache, dass sexualisierte Gewalt und alle anderen Formen von Gewalt in intimen Beziehungen überall um uns herum statt finden. Wir alle kennen Betroffene und wir alle kennen Personen, die Gewalt ausgeübt haben.
Und wenn uns immer wieder vor Augen geführt wird, dass Polizei und Justiz patriarchal sind und damit Teil der Gewalt, die uns unterdrückt, sollten wir, wann immer es uns möglich ist, andere Wege finden, mit Gewalt in unserem direkten Umfeld umzugehen.
Dabei helfen uns Konzepte wie Transformative Gerechtigkeit, die in den USA von Feminist*innen of color entwickelt wurde und auch in Deutschland angewandt und stetig weiterentwickelt wird.
Transformative Gerechtigkeit trägt den Traum von der gesellschaftlichen Befreiung in sich und setzt gleichzeitig ganz konkret beim Menschen im Hier und Jetzt an. Während wir auf das Ende von Patriarchat, Rassismus, Queerfeindlichkeit und weiteren Unterdrückungsformen hinarbeiten, gilt es schon jetzt, alternative Praktiken in unseren Umfeldern zu üben und zu verinnerlichen.
Transformative Gerechtigkeit stützt sich auf 4 Säulen: 1. Betroffene von Gewalt brauchen Sicherheit, Unterstützung und Respekt für ihre Selbstbestimmung. 2. Personen, die Gewalt ausgeübt haben, müssen bei ihrem Aufarbeitungsprozess begleitet werden, damit eine echte Veränderung ihres Verhaltens entstehen kann. 3. In Gemeinschaften jeder Art, ob Familie, Freund*innenkreis, Verein, Schule usw. braucht es Haltung und Praxis gegen jede Unterdrückung, und wenn Gewalt stattfindet, konkrete Widerständigkeit und Verantwortungsübernahme. Und schließlich müssen 4. die politischen Zustände, die Gewalt begünstigen, bekämpft werden.
Ihr denkt euch jetzt vermutlich, das ist verdammt viel Arbeit, und das stimmt. Es ist viel Arbeit und es ist viel Auseinandersetzung miteinander und mit uns selbst, um Gelerntes zu hinterfragen und eingefahrene Verhaltensmuster aufzubrechen. Diese Rede kann nicht mehr sein als ein Hinweis darauf, dass es erprobte Konzepte gibt, die wir zusammen weiterentwickeln können. Auf der Seite der f_antifa [siehe unten] findet ihr eine überschaubare Sammlung an Links, unter denen ihr mehr erfahren könnt!
Materialien zu Transformativer Gerechtigkeit
Einführungsartikel: https://www.akweb.de/bewegung/mit-transformative-justice-zu-mehr-sicherheit-ohne-polizei/
Melanie Brazzell [Hg.] (2018): Was macht uns wirklich sicher? Ein Toolkit zu intersektionaler, transformativer Gerechtigkeit jenseits von Gefängnis und Polizei. (10 €)
Kürzere und kostenlos verfügbare PDF: https://archive.org/details/toolkit-was-macht-uns-wirklich-sicher/mode/2up
Zine: “Das Risiko wagen. Strategien für selbstorganisierte & kollektive Verantwortungsübernahme bei sexualisierter Gewalt”
Sexualisierte Gewalt: Was tun?! Ein Zine zur konkreten Arbeit mit Transformativer Gerechtigkeit in Freiburg https://archive.org/details/TG_Freiburg_1.1
Zine: Transformative Gerechtigkeit & Kollektive Verantwortungsübernahme – Ein Diskussionsbeitrag https://archive.org/details/tg-diskussionsbeitrag
Wi(e)derstand nach dem Fall – Impulse für einen kollektiven Umgang mit sexualisierter Gewalt https://gegengewalt.blackblogs.org/broschure/
Und wer noch nicht genug hat, findet hier noch viel mehr: https://www.transformativejustice.eu/de/ressourcensammlung/