Das „Arbeitserziehungslager Nordmark“ und die Aufarbeitung seiner Verbrechen

Anlässlich des anstehenden Tags der Niederlage Deutschlands im 2. Weltkrieg möchten wir ein Stück Kieler Geschichte besprechen: Die des „Arbeitserziehungslagers Nordmark“, welches heute vor 79 Jahren befreit wurde. Dieses Lager ist ein Beispiel dafür, dass die unmenschlichen deutschen Verbrechen der Nazi-Zeit nicht nur an ein paar wenigen, heute berühmten Orten verübt wurden, sondern auch direkt vor unserer Haustür. Leider ist es auch ein Beispiel für die unglaublich schlechte und schwergängige Aufarbeitung dieser Verbrechen in unserem Land.

Erst um Juni 1944 begann der Bau des Lagers auf Geheiß des SH-Gestapochefs, Regierungsrats und SS-Sturmbannführers Fritz Schmidt. Dazu wurden Gefangene und Zwangsarbeiter*innen der nahegelegenen Polizeibaracke Drachensee eingesetzt, die zum Teil dann auch direkt dort einquartiert wurden. Das Lager diente unter anderem als Kurzzeit-Haftstätte zur Umerziehung und Abschreckung von hauptsächlich polnischen und sowjetischen Zwangsarbeiter*innen, die wegen Fluchtversuchen, Streitigkeiten mit Vorgesetzten oder anderen Denunziationen als „arbeitsvertragsbrüchig“ eingestuft wurden.

Aber auch politische Gefangene, wie z.b. der Pastor Ewald Dittmann und der Kieler Kommunist und Widerstandskämpfer Bernhard Scoor, wurden in dem Lager interniert. In der gesamten Zeit seiner Existenz waren in dem Lager 4.000 – 5.000 Menschen inhaftiert, von denen mindestens 578 ihr Leben verloren. Eine der grausamsten Haftarten war die Unterbringung in einer der 48 unterirdischen Einzelzellen in völliger Dunkelheit.

Mitte April 1945 verdoppelte sich die damalige Gefangenen-Zahl von 900 schlagartig, als ehemalige Insassen des Gestapo-Gefängnisses in Hamburg-Fuhlsbüttel sowie Juden*Jüdinnen des Rigaer Ghettos auf Todesmärschen von der nahenden Front weg nach Kiel geschickt wurden. Da auch Kiel kurz danach von britischen Truppen eingenommen zu werden drohte, ermordeten die Lagerverantwortlichen kurzerhand 300 der Häftlinge, darunter Schwerkranke und Verletzte, und sperrten den Rest ohne Versorgung ein. Noch vor dem Eintreffen der Briten am 4. Mai konnten sie fast alle Akten vernichten und in zivil nach Dänemark fliehen.

Im Rahmen weiterer Aufarbeitungsprojekte wurde 1982/83 die Grundmauer des SS-Gästehauses freigelegt und eine Broschüre zu dem Lager veröffentlicht – Die Kieler Stadtverwaltung sollte daraufhin zwar ein Konzept zum Gedenken entwickeln, kam aber aufgrund finanzieller Unklarheiten nie dazu. 1985 wurde ein weiterer Gedenkstein auf Initiative einer kirchlichen Jugendgruppe errichtet und seitdem wird am Volkstrauertag ein Gedenken veranstaltet. Die bekannten und unbekannten Opfer wurden 1993 in das Gedenkbuch der Stadt eingetragen. Die heutige Gedenkstätte wurde 2003 eingeweiht.

Wie in so vielen anderen Fällen waren auch die Ergebnisse der Strafverfolgung äußerst fragwürdig. Deutsche Behörden konnten in keinem einzigen Fall aussagekräftige Beweise finden. Im Rahmen der „Kiel-Hassee-Cases“ verhängte ein britisches Militärgericht 1947/48 für 15 Personen Haftstrafen bis zu 20 Jahren, von denen allerdings keine länger als bis 1956 vollstreckt wurde. 7 angeklagte wurden mangels Beweisen freigesprochen. Eine Todesstrafe für den dänisch-stämmigen Lagerarzt Orla Eigil Jensen wurde in lebenslange Haft umgewandelt. Ohne Bezug zum Lager wurde Lagerkommandant Johannes Post für den Mord an Royal-Air-Force-Piloten gehängt. Sein Chef, Fritz Schmidt, kam mit zwei Jahren Zuchthaus für den Mord an britischen Luftwaffenoffizieren davon.

Wir sollten niemals vergessen, was hier geschehen ist. Das Arbeitserziehungslager Nordmark war ein Ort des unmenschlichen und grausamen Verbrechens, der im Namen des deutschen Reiches und des deutschen Volkes errichtet und betrieben wurde. Es gibt überall in unserem Land weitere solcher beschämender Erinnerungsorte, mal mehr, häufig weniger gut in die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt. Die Erinnerung müssen wir aber aufrecht erhalten, denn es ist unsere eigene Geschichte. Eine Geschichte, die sich niemals wiederholen darf.