Redebeitrag zur Demo „Nein zur Bezahlkarte“ der Seebrücke Kiel, 28.7.2024

Moin,
wir sprechen hier heute für die Feministische Antifa Kiel. Wir möchten uns bei der Seebrücke bedanken für die Einladung, einen
Redebeitrag zu halten. Darin möchten wir versuchen, die sozialen Folgen der Bezahlkarte für Geflüchtete zu beleuchten, und herausfinden
was das schon wieder mit Kapitalismus zu tun hat!

Ursprünglich war der Gesetzesvorschlag zur Bezahlkarte dazu gedacht, Verwaltungsaufwand zu senken. Die Ausgestaltung der genauen  Richtlinien ist Länder- und Kommunalsache. Ob Bargeldobergrenzen, Fehlende Überweisungsfunktion da kein Zugriff auf ein Konto oder regionale Beschränkungen – jede einzelner dieser Einschränkungen ist ein Angriff auf die Selbstbestimmung und Freiheit des Menschen und sollte nicht geduldet werden, auch wenn manche Kommunen vielleicht nur wenige Restriktionen umsetzen. Selbst eine Restriktion ist eine zu viel! In Hamburg, wo die Bezahlkarte zynischerweise als „Sozialkarte“ bezeichnet wird, wurde die Obergrenze für monatliche Bargeldabhebungen auf 50 Euro festgesetzt – es bleibt abzuwarten, ob sich Schleswig-Holstein daran ebenfalls orientiert. Um zu veranschaulichen, wie wenig 50 Euro in bar tatsächlich sind: Eine Taxifahrt vom Rathausplatz bis zum UKSH kostet ca. 10 Euro. Ein durchaus denkbares Szenario, sollte es zu einer Situation kommen, in der eine schnelle medizinische Versorgung notwendig ist – die sowieso schlechte medizinische Versorgung von Geflüchteten mal ausgeklammert. Das ist ein Fünftel des monatlichen Barbetrages welches den Menschen zur Verfügung steht.

Um eine Taxifahrt zu vermeiden, wäre das Ausweichen auf den ÖPNV denkbar. Doch siehe da: Das Deutschlandticket ist nur im Abo erhältlich,
was ein Konto mit Überweisungsfunktion benötigt – also nicht möglich für Menschen, die gezwungen werden mit der Bezahlkarte zu zahlen.
Eine Monatskarte nur für Kiel dann also? Theoretisch wohl mit Bezahlkarte kaufbar – Kostet mittlerweile aber über 70 Euro. Das ist fast die Hälfte von den 185 Euro „Guthaben“, die den Menschen für Dinge des täglichen Bedarfes genehmigt werden.Faktisch wäre die Mobilität der Menschen also eingeschränkt, wodurch übrigens Ghettoisierung und räumliche Segregation vorangetrieben werden. All dies ist in den Augen der  Politiker*innen wahrscheinlich ein „geringes Übel“, werden Geflüchtete doch eh nicht erst seit gestern als Menschen zweiter Klasse behandelt.
Diese Andersbehandlung wird sich durch das Einführen der Bezahlkarte auch für jeden sichtbar in alltäglichen Situationen zeigen – wie etwa beim
Lebensmitteleinkauf an der Supermarktkasse. Werden Lebensmittel zu teuer, bleibt theoretisch die Möglichkeit der Tafeln – jedenfalls wenn dann noch etwas Bargeld übrig ist.

Wir haben als Gruppe mit antikapitalistischer Haltung auch noch viel andere, grundsätzliche Kritik an diesem Bezahlkartensystem und auch der rassistischen Asylpolitik. Dennoch wollen wir hier den Fokus nun noch einmal auf die sozialen Folgen dieser Karte lenken. In der vom Kapitalismus geprägten Gesellschaft, in der wir leben, wird eh schon auf in Armut lebende Menschen herabgeschaut. Menschen mit nur geringfügig höherem Einkommen versuchen sich bereits mit aller Kraft von ihnen abzugrenzen – praktisch für die herrschenden Klassen, denn Solidarität und womöglich ein gemeinsamer Widerstand von unten ist so kaum zu befürchten.

Die bürgerliche Mitte spricht oft davon, dass Geflüchtete sich ja integrieren sollen – doch wie, wenn viele nicht arbeiten dürfen, obwohl sie wollen? Wie, wenn die Bezahlkarte noch stärker als vorher eh schon verhindert, dass am mehrheitsgesellschaftlichen Leben überhaupt
teilgenommen werden kann? Behörden sprechen nur von Vorteilen, z.B. davon, dass es eine Entlastung für Geflüchtete sei, wenn sie nicht mehr in der Warteschlange an den Auszahlungsstellen stehen müssten. Doch was nützt es den Menschen, vielleicht etwas einfacher die Sozialleistung beziehen zu können, wenn diese dafür immer mehr sozial ausgrenzt?

Gemeindefest, Schulcaféteria, Flohmarkt, Internetbestellungen, Nutzung öffentlicher Toiletten, Mitgliedschaft im Sportverein – alles Beispiele für den finanziellen und sozialen Ausschluss von Menschen, die auf die mit Einschränkungen verbundenen Bezahlkarte angewiesen sind. Verwandte in anderen Städten besuchen wird wohl schwierig, wenn tatsächlich regionale Beschränkungen in manchen Kommunen durchgesetzt werden und Menschen sich auf Reisen dann nicht einmal unterwegs etwas zu essen oder zu trinken kaufen können. Schon wieder sind wir bei  dem Thema Mobilität: Man könnte fast meinen, die Regierung wolle darauf hinaus, dass geflüchtete Menschen sich nicht integrieren können, und stattdessen vereinsamen. Das Konzept von Integration an sich ist oft von rassistischen Stereotypen durchsetzt – doch selbst wenn Menschen beschließen, sich diesen zu beugen, wird es ihnen nun noch mehr erschwert.

 

Der Rassismus in der Gesellschaft wächst stetig und Übergriffe auf Asylsuchende sind keine Einzelfälle. Immer wieder hört man Gespräche, in denen Leute sich in aller Öffentlichkeit bekannten rassistischen Narrativen bedienen und lautstark darüber reden, dass ihrer Meinung nach Geflüchtete ja nur faul seien, den Deutschen auf der Tasche liegen würden und sowieso nur herkommen, weil es hier schöner sei als in ihrem Heimatland. Befeuert wird dies durch die Politik, wie neben der Bezahlkarte etwa die Diskussion über die ausbeuterische sog. Arbeitspflicht für Geflüchtete, oder aber die Aussage des bayerischen Innenministers Joachim Hermann (CSU), der Geflüchteten klarmachen wolle, dass wir hier nicht in einem Schlaraffenland leben würden.

In einem Schlaraffenland leben die meisten von uns sicher nicht – es sei denn die Kapitalist*innenklasse und die Superreichen, welche mehr Geld
haben als sie überhaupt ausgeben können. Doch statt nach oben zu schauen und mehr Abgaben für die oberen Prozente zu fordern, dreht sich der politische und gesellschaftliche Kurs stattdessen nach rechts, und damit auch das soziale Klima, in dem marginalisierte Personen noch mehr Ausschluss und Gewalt zu befürchten haben als vorher. Angst, Frust, Ärger, Demütigung, Gewalt – all dies sind denkbare direkte Folgen der Einführung der Bezahlkarte bei den Betroffenen selbst. Und um nochmal zu betonen wie gravierend dies ist: Wir sprechen von Menschen, die bereits vor Krieg und Gewalt fliehen mussten und nun oftvon ihrer Familie getrennt versuchen müssen, im rassistischen Deutschland zu überleben.

Doch auch das ist der Bundesregierung nicht unbekannt – sie benennen es als Vorteil, dass mit der Einführung der Bezahlkarte keine Auslandsüberweisungen mehr getätigt und auch keine größeren Bargeldsummen mehr an Familienmitglieder in den Herkunftsländern geschickt werden könnten. Das Geld sei ja für das Leben der Geflüchteten hier, sagt die BRD, und zieht sich schön aus der Verantwortung, wenn es darum geht, die eigene Rolle in der globalen neokolonialen Ausbeutung zu reflektieren. Viele Teile der deutschen Bevölkerung teilen inzwischen dieses
rassistische Narrativ und beschweren sich darüber, dass Geflüchtete ihre ebenfalls in Armut lebenden Familien unterstützen wollen. Wobei auch dies natürlich viel zu groß aufgebauscht wird – was für Summen können Geflüchtete denn dem Staat schon großartig aus der Tasche ziehen und außer Landes schaffen? Sie bekamen auch vor der Bezahlkarte schon nicht genug finanzielle Unterstützung, um überhaupt das Existenzminimum zu erreichen. Sie müssten sich schon alles vom Mund absparen, damit sie ihren Familien noch ein bisschen Unterstützung geben könnten. Wenn das ein weißer Max Mustermann für seinen Opa Heinz machen würde, fänden das alle bewundernswert.

Die Bezahlkarte soll, wenn es nach manchen geht, auch dazu dienen, die Menschen von einem Asylantrag in Deutschland abzuschrecken. Man solle bloß keine sogenannten Pull-Faktoren anbieten. Doch die Flucht vor Krieg und Gewalt lässt sich dadurch nicht aufhalten – selbst nach der Logik, Geflüchtete würden ihre Familien finanziell unterstützen können, wären die zurückbleibenden Familien ja erst recht gezwungen zu fliehen, wenn sie nicht mal mehr ein bisschen finanziell unterstützt werden können. Wenn wir uns jetzt mal vorstellen, der Staat würde gerne  Geflüchteten vernünftig die Möglichkeit geben, hier zu leben – was viele Politiker*innen ja schon nicht mal mehr behaupten – aber es geht leider einfach nicht besser, weil das Geld nicht reicht. Dann sollte er aufhören, Arbeitsverbote, Hürden über Hürden für die Integration, und immer mehr Ausgrenzungskonstrukte zu erschaffen. Oder er sollte mal anfangen hinzusehen, dass am oberen Ende der Gesellschaft ein Vielfaches der Summen, die für Geflüchtete ausgegeben werden, permanent durch Steuerbetrug und co. abhandenkommen. Übrigens wird da doch auch ständig Geld ins Ausland weggebracht? Ups? Vielleicht sollten wir lieber Bezahlkarten für Millionär*innen und Milliardär*innen einführen.

Aber wenn das nicht geht, sollte Deutschland zumindest aufhören, zu behaupten, es würde sich für Menschenrechte interessieren.
Danke fürs Zuhören!